Rede von Almuth David zur Einweihung

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Leerer Stuhl wird eingeweiht

Liebe Anwesende,
Ich spreche hier für die Geschichtswerkstatt „Jüdisches Leben in Pasing“. Als unsere 14-köpfige Gruppe im Herbst 2005 mit der Spurensuche nach einstigem jüdischen Leben in Pasing, Obermenzing und Aubing begann, hatten wir nicht erwartet, so viele Familien und Einzelpersonen jüdischer Herkunft zu finden. Sie waren einmal Teil der hiesigen Gesellschaft gewesen, aber aus dem Gedächtnis der heutigen Bevölkerung waren sie verschwunden. Erst durch unsere gemeinsame Archivarbeit über drei Jahre konnten wir, aus Bruchstücken zusammengesetzt, einige jüdische Lebens-wege im Münchener Westen „ins Licht rücken.“ Hilfe erhielten wir auch durch einige wenige Nachfahren der vertriebenen Familien, die wir durch unsere Spurensuche gefunden hatten.

Bei unserer Arbeit stellten wir fest, dass diese jüdischen Familien nicht in einem Ghetto gelebt und gearbeitet hatten, sondern verteilt über den ganzen Münchner Westen. Sie kamen aus allen Gesellschafts- und Berufschichten. Zu ihnen zählten Fabrikanten, Händler, ein Friseur, eine Schneiderin, Kaufleute, ein Stadtphotograph, ein Opernsänger, Ärzte und Buchhändler. Einige von ihnen waren schon im 19. Jahrhundert gekommen, und hatten als Pioniere Fabriken gebaut oder finanziert und zur Entwicklung des Dorfes Pasing zur Stadt beigetragen.

Dieser Leere Stuhl soll an die verschwundenen Juden im Münchner Westen erinnern. Sein Standort ist, finde ich, gut gewählt: ein ruhiger, jedoch zentraler Ort zum Nachdenken über das, was nicht mehr ist. Vier ehemalige jüdische Bewohner, die einmal in Fußentfernung von hier lebten und arbeiteten, seien stellvertretend für viele andere genannt:

  •  50 Meter nördlich von hier, da wo jetzt das neue Pasinger Bürgerzentrum steht, hatte der jüdische Stadtphotograph Albert Lehmann über der Pferderemise des englischen Malers und Fotographen George Davis sein letztes Atelier. Zuvor hatte er hoch über dem Pasinger Marienplatz in einem Dachgeschossatelier im Kringshaus gethront. Viele der bekannten historischen Stadtansichten von Pasing stammen von ihm, auch die des jüdischen Kaufhauses Neuburger am Pasinger Bahnhof von 1905. Albert Lehmann lebte von 1899 bis zu seinem Tod 1943 im eigenen Haus in der heutigen Varnhagenstraße. Er ist als einer der letzten Juden auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in München bestattet. Er war in zweiter Ehe mit einer Nichtjüdin verheiratet.
  • 50 Meter südwestlich von hier besaß Helene Regensteiner, die Witwe des Autofabrikanten Siegfried Regensteiner, ein stattliches Haus mit großem Garten. Siegfried Regensteiners Vater Albert hatte schon 1892 in der Exter-Kolonie 1 eine große Schuhfabrik und Villa gebaut. Für den Neubau des Pasinger Rathauses musste 1935/36 das Regensteiner -Haus zusammen mit dem benachbarten Lapphaus weichen. 1935 bekam Frau Regensteiner für ihre Immobilie noch einen fairen Preis von der Stadt Pasing. Nach Zahlung einer horrenden „Reichsfluchtsteuer“ konnte sie endlich im April 1940 Deutschland verlassen. Ihr inzwischen auf einem Sperrkonto eingefrorenes Vermögen fiel jedoch an das Deutsche Reich. Sie fand Zuflucht bei ihrem bereits 1933 nach Chicago ausgewanderten Sohn Karl. Dort starb sie 1952. Nichts mehr erinnert an das ehemalige Regensteiner -Haus, aber der sog. Hochzeitsbrunnen vor dem Rathaus steht da, wo einmal der Garten war. Die heute stattliche Linde beim Brunnen ist ein Relikt aus diesem Garten.
  • Im benachbarten Lapphaus, Münchner-Straße 15, dem heutigen Standort des Rathaussaals, wohnte der Friseur Josef Hönig. Schräg gegenüber, im Kringshaus am Marienplatz, betrieb er seinen eigenen „Herren- und Damen-Frisier-Salon“. Am 1. April 1933, dem reichsweit ausgerufenen Tag des sog. „Judenboykotts“, wurde seine Ladentür mit der Aufschrift „Jude“ überklebt und von SA-Leuten umstellt, um Kunden am Betreten des Geschäfts zu hindern. Ein seltenes Foto von diesem für Juden so schrecklichen Tag dokumentiert das Pasinger Ereignis.1934 zog Josef Hönig mit seinem Friseursalon in das Lapphaus um, musste aber schon Ende 1935 sein Geschäft aufgeben, weil das Haus für den Rathausneubau abgerissen wurde. Arbeitslos zog er nach München. Ende Juli 1939, kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, konnte er mit seiner Frau nach Genua fliehen.
  • Als viertes Beispiel sei Emil Neuburger genannt, der seit 1901 nicht weit von hier am Pasinger Bahnhofsplatz über 30 Jahre das beliebte „Pasinger Kaufhaus“ betrieb. Seit mehreren Jahren steht das Gebäude unter Denkmal-schutz; es wurde soeben mustergültig restauriert. Im Volksmund heißt es heute Bohnhaus, nicht mehr Neuburgerhaus. Das heißt man hat den ehemaligen Kaufhausbesitzer Emil Neuburger vergessen. Dabei war er vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Pasing ein hoch angesehener sozial engagierter Pasinger Bürger, der sich als gewählter Magistratsrat vor allem für die Arbeiterschaft einsetzte. Er engagierte sich für die Schaffung von Kleinwohnungen und Genossenschaftsbau. Während des 1. Weltkriegs bot sein Kaufhaus Rabatte für Familien von Kriegsteilnehmern und Arbeitslosen. Emil Neuburger starb 1938 in Pasing, kurz vor der mit seiner Frau geplanten Emigration zu den beiden Kindern nach New York. 2010, endlich, wurde eine neue Straße in Pasing nach ihm benannt; ein Zusatzschild weist auf seine Verdienste um Pasing hin.

Der Anteil der Juden an der Bevölkerung des Münchner Westens war nicht groß. Von denen, deren Lebenswege wir aufspüren konnten, fanden 16 einen gewaltsamen Tod, entweder durch Suizid, die Folgen von Inhaftierung oder Zwangsarbeit, oder nach ihrer Deportation in den Osten. 24 ehemalige Bewohner konnten mit ihren Angehörigen durch Emigration der Vernichtung entkommen. 7 Überlebende kehrten im Juni 1945 aus Theresienstadt zurück. Alle wurden aus ihrer eingeschlagenen Lebensbahn geworfen.

Der Leere Stuhl soll ein zentrales sichtbares Denkzeichen an die jüdischen Mitbürger sein, die hier während des Nationalsozialismus unter Zwang ihren Wohnsitz verloren. Wünschenswert wäre eine Ergänzungstafel mit ihren Namen, wenn deren Nachfahren einverstanden sind. Denkbar wären zusätzlich lokale sichtbare Zeichen an oder vor den einstigen Wohn- und Arbeitsorten.

Almuth David